Evangelium nach Johannes (1,1-5.9-14)
Im Anfang war der „Logos“. Dieses griechische Wort hat man mit „Wort“ übersetzt. Aber Logos bedeutet mehr, z.B. auch Sinn, Geist, Vernunft. Das sind alles Umschreibungen, Metaphern, für Gott. Gott hat alles erschaffen und alles mit Sinn, Geist, Vernunft, Leben erfüllt. Die Schöpfung, „das Werk seiner Hände“, nennt sie die Bibel. Und so wie ein Künstler etwas von sich selbst in sein Kunstwerk hineinlegt und wir deswegen – wenn wir sein Kunstwerk aufmerksam bewundern – etwas vom Künstler erfahren können, so ist es auch mit der Schöpfung und mit Gott. Gott spricht indirekt zu uns durch seine Schöpfung.
Aber im Laufe der Menschheitsgeschichte hat Gott auch sein Wort, seine Geisteskraft durch bestimmte Menschen wirken lassen. Sie werden Propheten genannt: Menschen, die so von Gott „ergriffen“ sind, dass er durch sie spricht. Gott hat die sich immer weiter entwickelnde Menschheit immer wieder angesprochen, um ihr Orientierung zu geben. Er hat sie nicht nur ins Leben gerufen, sondern kümmert sich weiterhin um sie, will sie begleiten.
Aber in einem bestimmten Menschen, Jesus von Nazareth, hat Gott auf eine besondere Art und Weise gesprochen, sich selbst mitgeteilt, gezeigt, wie er zu seinen Menschen steht. Durch Jesus hat er die Dunkelheit und das Unverständliche unserer menschlichen Existenz erhellt. Wir bekamen mehr Klarheit über uns selbst und über unser Leben. Jesus hat uns in einer für uns verständlichen Form vorgelebt, was es heißt, den Sinn des eigenen Lebens zu erkennen. Jesus und seine Lebensweise ist ein Sinnangebot Gottes an uns. In Jesus hat Gott uns deutlich gemacht: wir sind seine geliebten Kinder. Ich kann zu Gott sagen: Ich bin dein Kind - ich verdanke dir mein Leben.
Gott hat zu uns gesprochen. Er hat uns angesprochen. Durch Jesus hat er auf eine menschliche Art gesprochen, so dass wir ihn verstehen können. Jesus ist sozusagen die Liebeserklärung Gottes an uns: Wir sind seine Söhne und Töchter, seine Kinder. In Jesus hat er gezeigt, dass er uns ausgesprochen gernhat. Dieses Bewusstsein ist wie ein Licht in unserem Leben, das die Finsternis, die Unsicherheit, das Gefühl bedroht zu sein und damit unsere Lebensängste, vertreiben kann.
Welche Konsequenzen hat das für unser Menschsein? Wenn Gott sich an uns wendet, Kontakt, Beziehung zu uns sucht, dann dürfen wir uns selbst ganz neu und anders sehen: Wir bekommen ein Selbstwertgefühl. Wir sind wichtig – nicht von uns aus, sondern weil Gott uns wichtig nimmt. Wir sind also nicht grundsätzlich, unserem Wesen nach, schlecht und sündig, verdorben und verloren – wie man Jahrhunderte lang gepredigt hat. Aber wir sind als Wesen in Entwicklung unvollkommen, erneuerungsbedürftig, mit unseren guten Seiten und mit unseren Schwächen und Fehlern. Wir sind wie Kinder im Wachsen, wir sind Gottes Kinder, unterwegs erwachsen zu werden, d.h. ganz Mensch zu werden, so wie Gott uns gerne hätte.
Gott hat gesprochen und das hat für uns Konsequenzen: Ich muss nicht dauernd versuchen mich selbst zu bestätigen und beweisen, dass ich wer bin. Ich brauche meinen Mitmenschen nicht zu zeigen, wie gut ich bin, ja dass ich sogar besser bin als sie. Ich kann mich selbst annehmen, weil ich mich grundsätzlich angenommen weiß, als Kind, Sohn, Tochter Gottes. Ich kann auch einen Mitmenschen annehmen, weil ich weiß, dass auch er von Gott angenommen ist. Das ist der Grund für die tiefste Menschenwürde, die uns niemand nehmen kann. Gott hat gesprochen, hat sich uns zugewandt, um uns dieses Bewusstsein zu vermitteln, dass wir seine von ihm geliebten Kinder sind.
Gottes Wort aufnehmen, mich dafür öffnen, mich von ihm durchdringen lassen: Das hat eine Wirkung auf meine Lebensweise, mein Denken und Fühlen, auf meinen Umgang mit meinen Mitmenschen, auf meine Lebenseinstellung. Es hilft mir, erwachsen zu werden, zu einem Menschen zu werden, wie Gott mich meint und so mit Leben erfüllt zu werden, Lebenserfüllung zu finden.